Kapitel 21: Funkeln


Das Wochenende mit Vinny in Granite Falls hat meiner Seele gut getan. Umso mehr muss ich mich am Montagmorgen aus dem Bett quälen, denn auf Büroarbeit habe ich heute so überhaupt gar keine Lust. Unter der Dusche schwelge ich noch in Erinnerungen an das klare Seewasser, aber spätestens im Präsidium an meinem Schreibtisch bin ich in der Wirklichkeit angekommen.

 

„Lux! Sie sind 3 Minuten zu spät. Gehen Sie zu Natalie Berger und unterstützen Sie die Kollegin bei der Fallbearbeitung. Ich habe bereits  mit ihr alles Wichtige besprochen.“ Hauptkommissar Thom rauscht an meinem Schreibtisch vorbei, sodass ich keine Möglichkeit habe Protest einzulegen.

Meine Laune sinkt noch weiter in den Keller. Natalie Berger ist eine Kollegin aus Veronaville, die unser Team für einige Monate unterstützen soll. Nur leider habe ich in den 5 Tagen, die sie bisher bei uns ist, noch keinerlei Teamfähigkeit bei ihr feststellen können.

„Hey Natalie. Thom hat mich gebeten dich heute zu unterstützen. Um welchen Fall geht es?“

Sie blickt mich irritiert an. „Ich brauche aber keine Hilfe.“

Ich zwinge mich ein genervtes Seufzen zu unterdrücken und lächle sie weiter tapfer an. „Thom hat mir diese Anweisung gegeben. Was steht denn heute an?“ Ich setze mich ihr gegenüber.

Natalie rümpft die Nase und reicht mir widerwillig eine Akte hinüber.

„Der Fall Gooser. Herr und Frau Gooser kommen heute vorbei für ihre Aussage. Alles nur Formalia, wir wissen ja schon, dass sie keine näheren Angaben zum Einbruch machen können. Dann muss noch die Auswertung der Spurensicherung überwacht werden. Wir hatten ja diesen vielversprechenden Reifenabdruck hinter dem Haus und die Zigarettenstummel.“

Ich nicke. „Alles klar, dann gehe ich gleich mal hoch ins Labor und…“

Natalie hebt eine Hand und ich verstumme verwundert. „Das mach ich. Um 10 kommen die Goosers, du übernimmst die Aufnahme der Aussagen.“

Als ich nicht reagiere, zieht Natalie die Augenbrauen hoch und sieht mich herausfordernd an. „Ist noch was?“

Ich schlucke meinen Ärger hinunter, schnappe mir die Akte und verlasse das Büro. Ich wusste, dass dieser Montag besonders schlimm werden würde.


Herr und Frau Gooser sind ein älteres Ehepaar, das auf den ersten Blick nicht zusammenpasst. Frau Gooser wirkt fast unscheinbar, eine ruhige ältere Dame mit kleinen Lachfalten neben den Augen. Herr Gooser hingegen scheint sich mit seinem Alter noch nicht abgefunden zu haben. Sein jugendlicher Kleidungsstil kann aber auch nicht darüber hinwegtäuschen, dass er mindestens so alt wie seine Frau ist.

 

„Bitte setzen Sie sich doch“, sage ich nach einer kurzen Begrüßung und deute auf die beiden Stühle vor mir. „Wie Sie wissen, geht es um den Einbruch in Ihr Haus vom 23. Mai. Wie haben Sie den Einbruch bemerkt?“

Herr Gooser richtet sich auf. „Wir sind am 24. Mai von unserem Wochenendhaus in Brindleton Bay zurückgekehrt. Als wir ankamen, ist uns erst einmal nichts Ungewöhnliches aufgefallen. Dann fanden wir Wohn- und Schlafzimmer verwüstet vor. Die Terrassentür im Erdgeschoss war aufgebrochen worden.“ Frau Gooser pflichtet ihm nickend bei.

„Wann sind Sie nach Brindleton Bay gefahren?“

„Das war am 21. Mai, abends.“

Ich nicke und blättere in der Akte herum. „Hier steht, dass am 22. Mai eine Frau Schild in Ihrem Haus war.“

„Ja, das ist unsere Nachbarin", erwidert Frau Gooser. "Sie hat einen Schlüssel und kümmert sich immer um unsere zwei Katzen, wenn wir in Brindleton Bay sind. Sie war vormittags und am Abend im Haus, um sie zu füttern und nach dem Rechten zu sehen.“

„Hier steht außerdem, dass Ihr Haus mit einer Alarmanlage ausgestattet ist.“

„Das ist richtig.“ Herr Gooser macht ein unglückliches Gesicht. „Wir wohnen nun schon seit über zwanzig Jahren in diesem Haus. Vor etwa zwölf Jahren wurde es komplett saniert und das Sicherheitssystem installiert. Noch nie hatten wir Probleme mit der Alarmanlage. Sie funktioniert ja auch einwandfrei, wir hatten das direkt überprüft.“

Ich werfe einen Blick in die Akte und sehe einen Vermerk der Kollegen von der kriminaltechnischen Untersuchung: „Manipulation der Sicherungssysteme ausgeschlossen, Alarmanlage ohne Defekt“.

Dann ziehe ich ein Blatt aus der Akte hervor und reiche es den beiden. „Das sind Ihre Angaben zu den gestohlenen Wertgegenständen. Ich bitte Sie diese Liste zu überprüfen und dann unten zu unterschreiben.“

 

Während die beiden nach einem kurzen Blick auf das Blatt ihre Unterschriften darunter setzen, schalte ich das Aufnahmegerät ab. Dann hefte ich die Liste in der Akte ab und geleite die beiden hinaus.

Auf dem Weg ins Labor vibriert mein Handy. Es ist eine Nachricht von Vinny.

 

Meine alten Uni-Freunde Steve und Camilla sind

in der Stadt und wollen mit mir Essen gehen.

Ich würde mich freuen, wenn du mitkommst.

19 Uhr im La Liz.

Kuss, V

 

Mein Herz klopft schneller und meine Laune bessert sich mit einem Schlag. Dass Vinny mich seinen Freunden vorstellen möchte, ist auf jeden Fall positiv zu werten. Vor der Tür zum Labor bleibe ich stehen und tippe noch schnell meine Zusage. Ganz in Gedanken betrete ich den Raum und finde Natalie bei einem Kollegen der Spurensicherung.

„Hey, ich hab die Aussagen von Herrn und Frau Gooser zu Protokoll genommen. Wie zu erwarten gab es nichts Neues. Wird die Aussage von Frau Schild auch noch aufgenommen?“

„Frau Schild? Wer ist das denn bitte?“ Natalie schaut irritiert.

„Frau Schild. Die Nachbarin, die sich um die Katzen gekümmert hat.“

„Ach die.“ Natalie winkt ab. „Alles schon längst in die Wege geleitet.“

Dann reicht sie mir zwei Blätter Papier. „Hier, die kannst du abheften. Jetzt brauche ich deine Hilfe nicht mehr.“ Dann verschwindet sie in Richtung Pausenraum.

Ich seufze und werfe einen Blick auf die zwei Dokumente. Es sind die Analyse-Ergebnisse der Spurensicherung zu Reifenabdruck und Zigarettenstummel.

Beim Reifenabdruck konnte immerhin das Automodell eingegrenzt werden. Der DNA-Abgleich von der Zigarette verlief dagegen ergebnislos.


Die Zeit bis zum Feierabend zieht sich hin. Nach einem kurzen Stopp Zuhause und einer frischen Dusche erreiche ich Punkt 19 Uhr das La Liz. Da ich Vinny draußen nicht entdecken kann, gehe ich hinein.

Gleich vorne entdecke ich ihn an einem Tisch zusammen mit einem Mann und einer Frau.

"Hey, schön, dass du kommen konntest!", begrüßt mich Vinny mit einem Kuss auf die Wange und stellt mich dann vor: "Das ist Joelle. Joelle, dass sind mein alter Studienfreund Steve und seine Freundin Camilla."

"Das 'alt' überhöre ich jetzt einfach mal", lacht Steve und reicht mir die Hand.

"Was führt euch nach Windenburg?", frage ich, während wir einen Blick in die Karte werfen.

"Oh, wir sind immer auf der Suche nach neuen Kulissen für unsere Kampagnen." Camilla lächelt mich an. "Vinny meinte du stammst aus Windenburg. Vielleicht hast du ja den einen oder anderen Geheimtipp für uns?"

Ich sehe auf. "Um was für Kampagnen geht es denn?"

"Vinny hat dir wohl noch nicht viel von uns erzählt?" Camilla sieht ihn tadelnd an. "Ich bin angehende Designerin. Steve fotografiert meine Kollektionen. Für die nächste Herbstkollektion möchte ich Outdoor-Bilder von den Models und Windenburg scheint mir perfekt dafür. Jetzt sind wir auf der Suche nach der passenden Location."

"Wow, das klingt spannend. Wenn ich mal einen Blick auf deine Entwürfe werfen darf, kann ich euch sicher weiterhelfen."

"Das wäre großartig! Gerade jetzt, wo wir nur Pech zu haben scheinen..."

"Wieso, was ist denn passiert?", fragt Vinny.

Camilla winkt ab. "Die Castings sind nicht so gut gelaufen wie ich dachte. Es waren einfach keine Models dabei, die mir gefallen haben."

Ich registriere aus dem Augenwinkel wie Steve verstohlen aus dem Fentser schaut. Ihm scheint das Gespräch unangenehm zu sein. Aber Camilla fährt fort.

"Alles nur so Allerweltsgesichter. Ich brauche außergewöhnliche Personalities! Dann hab ich widerwillig einigen Models zugesagt" - jetzt wirft sie Steve einen tadelnden Blick zu - "Und was passiert? Zwei von fünf haben schon wieder abgesagt! Ich meine warum haben sie sich denn dann beworben?"

"Könnte Shirani da nicht vielleicht aushelfen?", wendet sich Vinny an mich.

"Shirani?", frage ich verdutzt.

"Na, die ist doch Model, oder etwa nicht? Und sie lebt in Windenburg!" An Steve gewandt fügt er hinzu. "Das ist eine Freundin von Joelle. Hab vor einigen Jahren auch mal kurz mit ihr gearbeitet. Sie ist nicht schlecht."

"Nicht schlecht?", ruft Camilla pikiert. "Ich brauche kein nicht schlecht. Ich brauche ein außergewöhnlich!"

Vinny zuckt mit den Schultern. "Ist ja nur ein Angebot. Ich kann sie gerne mal für euch anfragen."

Steve nickt. "Danke, Vinny. Mach das bitte. Uns rennt die Zeit davon."

Während Steve und Camilla noch einen Blick in die Karte werfen, frage ich Vinny wie er es so spontan geschafft hat, noch einen Vierertisch im La Liz zu ergattern.

"Tja", antwortet er verschmitzt, "Wenn man den Souschef des Hauses kennt, ist alles nur noch halb so wild."

Dann streicht er sanft über meinen Arm.

"Ihr seid ja so süß zusammen!" Camilla schlägt die Karte zu. "Erzählt, wie habt ihr euch kennengelernt?"

"Das war im Fitnesscenter." Vinny lächelt mich an. "Ich musste sie einfach ansprechen. Ihre Kletterkünste sind beeindruckend!"

Ich werde rot. "Und ihr zwei kennt euch also von der Uni?", frage ich schnell.

Camilla nickt. "Steve hat zusammen mit Vinny Fotografie studiert, ich Modedesign. Die beiden Studiengänge haben des Öfteren kollaboriert, also die Fotografiestudenten unsere Arbeiten in Szene gesetzt. So habe ich Steve kennengelernt. Er weiß einfach am besten wie meine Entwürfe abgebildet werden müssen."

Der Kellner kommt und wir geben unsere Bestellung auf.

"Habt ihr auch schon über den nächsten Schritt nachgedacht?" Camilla sieht uns prüfend an.

"Den nächsten Schritt?" Vinny und ich tauschen fragende Blicke aus.

Camilla hebt ihre linke Hand und präsentiert einen funkelnden Ring. "Nächstes Jahr im Sommer steht die Hochzeit an!"

"Ähm, seid ihr nicht schon seit letztem Winter verlobt?", fragt Vinny vorsichtig.

Steve versucht ihm stille Zeichen zu geben, sofort mit dem Reden aufzuhören, aber da ist es schon zu spät. Camilla zählt ohne auch nur einmal Luft zu holen auf, an was bei Hochzeitsvorbereitungen alles zu denken ist und wieviel Zeit das alles in Anspruch nimmt. "... dann noch die Torte, die Ringe nicht zu vergessen! Die Blumendekoration natürlich, der Fotograf, Steve kann uns schließlich nicht selbst fotografieren - oh, Vinny, willst du vielleicht unser Hochzeitsfotograf sein?" Camilla macht eine Pause, aber Steve schüttelt vehement den Kopf.

"Nichts da, Vinny wird Gast auf unserer Hochzeit sein und nicht arbeiten."

Camilla seufzt. "Du hast ja Recht. Aber deswegen habe ich ja auch darauf gedrängt den Termin so spät anzusetzen, die Planung nimmt eben eine Menge Zeit in Anspruch. Zeit, die wir gerade nicht haben."

"Wenn wir einen Hochzeitsplaner engagieren würden...", murmelt Steve, aber Camilla widerspricht sofort vehement.

"Die kriegen doch nichts gebacken! Besser, ich habe ein Auge auf alles."

Unser Essen kommt und unterbricht glücklicherweise das Gespräch.

"Wie lange seid ihr denn noch in Windenburg?", frage ich.

"Bis Freitag Morgen", antwortet Steve. "Am Donnerstag schießen wir die Kampagne."

Camilla holt ihr Handy hervor, tippt darauf herum und reicht es mir dann. "Hier siehst du meine Kollektion. Vielleicht fallen dir ja jetzt schon ein paar Orte ein, die Steve und ich morgen unter die Lupe nehmen können."

Ich werfe einen Blick auf die Bilder. Darauf zu sehen sind kurze Strickkleider und Mäntel, lange Kleider und Lederröcke.

"Das sieht wirklich toll aus!" Ich gebe der strahlenden Camilla das Handy zurück und widme mich dann wieder meinem Essen. Als ich Camillas erwartungsvollen Blick bemerke, halte ich inne. Auch Steve sieht mich gespannt an.

"Ähm, also... So spontan fällt mir jetzt der Spukende Landsitz ein. Ein riesiges Gelände mit einem Heckenlabyrinth und schönen verwunschenen Ecken."

"Der Spukende Landsitz? Das klingt doch schon mal vielversprechend, oder Schatz?" Steve lächelt Camilla zu.

"Ja, wir werden es uns morgen auf jeden Fall ansehen! Und schreib mir einfach, wenn dir noch etwas einfällt, ja? Vinny gibt dir meine Nummer."

"Du arbeitest als Polizistin, Joelle?", fragt Steve und trinkt einen Schluck Wein. "Das ist sicher auch kein leichter Job."

Ich nicke und erzähle zwischen zwei Bissen kurz von meiner Arbeit. "Wir sind aber auch chronisch unterbesetzt. Und die Kollegen, die uns zeitweise zur Unterstützung geschickt werden, sind auch keine große Hilfe."

Nachdem wir uns satt gegessen haben, sitzen wir noch eine Weile zusammen und ich lausche alten Uni-Geschichten von Steve und Vinny. Camilla gibt zwischendurch immer mal wieder den einen oder anderen Kommentar ab ("Das stimmt doch gar nicht! Diese Professorin war potthässlich!", "Ihr ward einfach nur kindisch...", "Also ich habe das ganz anders in Erinnerung. Das war nämlich so...") und die Jungs kommen aus dem Lachen gar nicht mehr heraus.

Draußen vor dem Restaurant verabschieden wir uns. Das Hotel von Camilla und Steve liegt nicht weit entfernt in der Altstadt Windenburgs.

"Melde dich auf jeden Fall, wenn dir noch eine gute Location einfällt!", ermahnt Camilla mich fast schon, dann drücken wir uns kurz und die beiden verschwinden in der Nacht.

 

Vinny ergreift meine Hand und zieht mich dicht an sich heran. "Na, möchtest du auch so eine Wahnsinnshochzeit wie Camilla?"

"Was?" Ich sehe in sein grinsendes Gesicht und muss nun auch lachen. "Hey, damit macht man keine Scherze!"

"Ich mache keine Scherze, das weißt du doch." Er sieht mir tief in die Augen. "Ich liebe dich, Joelle."

Dann beugt er sich vor und küsst mich.